Offener Brief der Jusos Schwaben an die Bundesparteitagsdelegierten der SchwabenSPD zum Sonderparteitag am 21. Januar

19. Januar 2018

Offener Brief der Jusos Schwaben an die Bundesparteitagsdelegierten der SchwabenSPD zum SPD Sonderparteitag am 21. Januar

Liebe Genossinnen und Genossen,

als Juso- und SPD-Mitglieder wollen wir das Beste für die Sozialdemokratie und die Menschen in unserem Land erreichen. Wir halten es in diesem Fall für die richtige Entscheidung, keine Große Koalition einzugehen. Als unsere schwäbische Vertretung für diesen Parteitag bitten wir Euch, Euch ernsthaft mit unserem Brief auseinanderzusetzen.

Die Parteiführung um Martin Schulz hat zuletzt auf dem Bundesparteitag intensiv um Vertrauen geworben. Dieses Vertrauen wurde sowohl parteiintern als auch in der Öffentlichkeit binnen kürzester Zeit wieder verspielt. Im Vorfeld der als “ergebnisoffen” angekündigten Sondierungsgespräche wurde zunächst der Eindruck erweckt, Vorhaben wie die Bürgerversicherung oder eine Anhebung des Spitzensteuersatzes seien die roten Linien der SPD. Von “ergebnisoffen” war jedoch schon nach dem ersten Sondierungstag nichts mehr zu hören.

Diese Kernforderungen konnten nicht gegen die CDU/CSU durchgesetzt werden. Keine Bürgerversicherung, keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes, keine Rentenreform – dafür die Stärkung der privaten Rentenversicherung, die Abschaffung des Soli und eine Obergrenze, die euphemistisch als „Spanne von 180 000 bis 220 000“ Geflüchteten bezeichnet wird. Daher müssen den Koalitionsgesprächen allein aus inhaltlichen Gründen eine klare Absage erteilt werden. Eine genaue inhaltliche Bewertung des Sondierungspapiers aus Sicht der Jusos Bayern findet Ihr im Anhang dieser E-Mail.
Wir wollen mit Euch über die Bedeutung einer erneuten großen Koaltion für unsere Partei reden.

An die Zukunft unserer Partei denken - über die nächsten Wahlen hinaus

Neuaufstellung der SPD

Die SPD hat eine historische Niederlage am 24. September eingefahren. Die SPD muss sich grundlegend modernisieren. Die Erkenntnis, dass unsere Partei sich – um wieder glaubhafter und abgrenzbarer zu werden – ein klares linkes Profil erarbeiten muss, ist nicht neu, hat aber nach der Wahl endlich wieder an Fahrt gewonnen. Martin Schulz ist durch das Land gereist, hat Erneuerungsprozesse angeregt und den Genoss:innen zugehört. Hier wurde deutlich: Die Spitze dieser Partei benötigt eine ernsthafte inhaltliche, organisatorische und personelle Neuaufstellung. Dies werden wir nicht umsetzen können, wenn wir uns Hals über Kopf in die nächste Regierungsepisode stürzen. Auch nach der Bundestagswahl 2013 hatte man die Neuaufstellung versprochen - und dann aufgrund der Regierungsverantwortung verschoben. Lasst uns das nicht noch mal um vier Jahre verschieben! Das könnte in vier Jahren das Ende unserer Partei bedeuten. Die Neuaufstellung einer inhaltlich klaren und glaubwürdigen Sozialdemokratie ist vor diesem Hintergrund wichtiger als erneute vier Jahre Regierungsbeteiligung. Das sind wir unseren Wähler:innen und das ist die Partei den Mitgliedern schuldig. Wir müssen wieder den Mut haben, an unseren Überzeugungen und Grundwerten festzuhalten. Ansonsten haben wir als Partei keine Existenzgrundlage. Eine solche Partei wird bei der nächsten Bundestagswahl - egal ob im Frühjahr oder in vier Jahren - noch weiter an Prozentpunkten verlieren. Die 20,5% von der letzten Bundestagswahl sind keine Haltelinie nach unten.

Bei einem Votum für eine erneute Große Koalition haben wir zudem mehr zu verlieren, als beikommenden Neuwahlen oder einer Minderheitsregierung. Die Große Koalition wurde, wie übrigensalle großen Koalitionen der Geschichte der Bundesrepublik, bei dieser Wahl mit 14 Prozentabgewählt. Der Hauptkritikpunkt der Wähler:innen während dem Wahlkampf war, dass wir uns kaum von der Union unterscheiden und kaum sozialdemokratische Themen durchbringen. Wir schaffen es nicht, den Wähler:innen unsere Erfolge zu kommunizieren und uns von der Union abzugrenzen. Warum sollte es dieses Mal anders laufen? Auf den dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust würden vier lange Jahre folgen, in denen wir keine Möglichkeit haben werden, unser Profil zu entwickeln und den Bürger:innen eine Vision unserer sozialdemokratischen Politik zu vermitteln. Die langfristige Existenz einer starken, glaubwürdigen und linken sozialdemokratischen Partei ist für Deutschland von weitaus größerer Bedeutung als eine erneute Regierungsbeteiligung nur um dem patriotischen Ruf der Union nach “Verantwortung” Folge zu leisten und um Gesichter und Posten der Parteispitze zu erhalten. Zumal niemand der SPD erklären muss, was Verantwortung für dieses Land bedeutet!

Gerade der Blick auf unsere sozialdemokratischen Schwesterparteien in Europa zeigt doch, wohin die Aufgabe klarer sozialdemokratischer Positionen und Ziele zum Zweck des reinen pragmatischen Regierens führen können. Eine von der Union kaum unterscheidbare Sozialdemokratie wird hierzulande, wie das schlechte Wahlergebnis zeigt, aus Wählersicht nicht gebraucht.

Verlässlichkeit der Union als Regierungspartner

Für eine Zusammenarbeit muss neben einem gewissen inhaltlichen Konsens unbedingt ein Vertrauensverhältnis existieren. Dieses wurde in der vergangenen Legislaturperiode von der Union durchgängig mit ihrer Blockadepolitik gebrochen. Bekannte Beispiele sind dafür der Alleingang von Landwirtschaftsminister Schmidt bei der Glyphosat-Verlängerung und die Verweigerung der Union bei dem Thema Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit, obwohl es im Koalitionsvertrag fest verankert war. Außerdem waren die Sondierungsgespräche geprägt von Brüchen der vereinbarten Informationspolitik und gezielten Provokationen der Union sowie Respektlosigkeiten gegenüber den Genoss:innen. Wie die konkrete Arbeit der Abgeordneten, insbesondere mit der CSU, ohne eine gemeinsame Vertrauensbasis gestaltet werden soll, ist unklar.

Vertrauensfrage- für unsere Wähler*innen und unsere Mitglieder

Der Preis für ein endgültiges Umkippen in der Koalitionsfrage wäre erneut ein herber Glaubwürdigkeitsverlust für die SPD. Drei Minuten nach der Wahl verkündet die SPD, dass man für eine Große Koalition nicht zur Verfügung steht, nach dem Scheitern von Jamaika hält man mit einem einstimmigen Ergebnis an dem Beschluss fest, und drei Tage später kippt man auf einmal um. Dieses Hin und Her weckt kein Vertrauen und gleicht einem Drehhofer.

Neben dem Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber den Wähler:innen wird es, wenn sich die Große Koalition durchsetzt, zu erheblicher Enttäuschung in der Parteibasis kommen. Als Martin Schulz unser Kanzlerkandidat wurde, sind viele, gerade junge Menschen in unsere Partei eingetreten, weil sie das Gefühl hatten, dass es eine realistische Alternative zur Großen Koalition und Merkel gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt. Auch Martins Ankündigung direkt nach der Wahl, nicht für eine Große Koalition zur Verfügung zu stehen, hat viele motiviert, (wieder) in die SPD einzutreten, obwohl sie gerade krachend eine Wahl verloren hat. All diese Neumitglieder und aktiven Genoss:innen werden nun enttäuscht. Gründe, eine erneute Koalition mit der Union einzugehen, sind für die Mehrheit der Basis kaum ersichtlich. Viele werden das Gefühl haben, in unserer Partei würde sich nicht das bessere Argument, sondern das Argument der Mächtigeren durchsetzen. Das bedeutet für diese auch, dass sie mit ihrem ehrenamtlichen Einsatz nicht tatsächlich an der Politik unserer Partei partizipieren können. Die Folge ist Resignation und ein Rückzug aus dem Parteigeschehen. Das Eingehen einer Großen Koalition würde sehenden Auges den Verlust engagierter Menschen, die sich für die Partei die letzten Jahre mit ihrer Zeit und ihrer Kraft eingesetzt haben, riskieren.

Wir brauchen keine erneute Auf- und Abspaltung innerhalb der SPD, sondern sollten lernen, wieder gemeinsam zu unseren fundamentalen Grundwerten zu stehen. Wenn unsere Mitglieder wieder das Gefühl haben, dass die SPD für das Richtige kämpft, dann sind diese auch wieder leichter zu aktivieren. Bitte setzt Euch deshalb am Wochenende auch für einen Zusammenhalt dieser Partei ein.

Oppositionsführung nicht den Rechtspopulist*innen überlassen!

Die SPD ist eine stolze Partei, die in ihren 150 Jahren nicht einmal ihren Namen ändern musste. Wir stehen wie keine andere Partei für den Kampf gegen Rechts. Es ist Schande genug, dass nach 70 Jahren wieder eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag einzieht. Auch hier tragen wir Verantwortung, indem wir ihnen nicht die Rolle der Oppositionsführung überlassen!

Hinhaltetaktik - nicht schon wieder!

Bitte fallt auch nicht auf die Taktik einiger Bundesvorstandsmitglieder herein, die jetzt Nachverhandlungen mit der Union fordern. Diesen unbegründeten Optimismus, während der Koalitionsgespräche noch die roten Linien der Partei hinein verhandeln zu können, teilen wir nicht. Das vom Bundesparteitag in Berlin gegebene Vertrauen der Delegierten wurde bei den Sondierungsverhandlungen dafür zu sehr enttäuscht. Passend dazu schrieb Heribert Prantl am Montag in der SZ, dass “aus einem Fiat 500 auch durch Nachbesserungen kein 5er BMW wird”.

Zudem vergessen Delegierte nicht so schnell, wie man es sich manchmal vielleicht erhofft. Wir erinnern uns an die TTIP-Verhandlungen, bei denen man zuerst auch den Delegierten erzählt hat, dass man rote Linien habe, die nicht überschritten werden würden. Nachdem diese, wie hier bei den Sondierungsgesprächen, nicht mehr vorhanden waren, war das Argument da, dass man schon so lange verhandelt habe, dass es jetzt kein Zurück mehr geben könne, ohne das Gesicht zu verlieren.
Bitte lasst es uns hier nicht so weit kommen!

GroKo oder Neuwahlen? Nein – es gibt auch einen anderen Weg!

Viele Genoss:innen befürchten, dass wir bei Neuwahlen noch mehr Prozente verlieren und Neuwahlen die einzige Alternative ist, die wir zur GroKo haben. Die SPD kann aber auch entweder Angela Merkel zwingen, eine Minderheitsregierung zu führen – oder sie kann selbst eine Minderheitsregierung anführen.

Dazu brauchen wir auch keine absoluten Mehrheiten im Bundestag. Nach Art. 63 des Grundgesetzes reicht es, im dritten Wahlgang die meisten Stimmen zu bekommen. Dies ist möglich, sofern niemand von der Union antritt. Klar, wird das eine Mammutsaufgabe - für Martin Schulz wäre das aber möglich: Er hat viele Jahre im Europäischen Parlament Mehrheiten organisiert, ganz ohne Koalitionen – und er genoss dort Respekt über alle Parteigrenzen hinweg.

Sollte die Union - mit wem auch immer als Kanzler:in - eine Minderheitsregierung anführen, kann die SPD aus der Opposition heraus gute sozialdemokratische Politik betreiben. Und nichts hindert sie, im Einzelfall Kompromisse zu schließen und gute Ideen gemeinsam mit der Union umzusetzen, wie sie sich in den Sondierungen etwa in den Bereichen Bildung und Europa abzeichneten. Es täte auch unserer Demokratie gut. Es stärkt die Stellung des Parlaments gegenüber der Regierung und die politische Debatte in der gesamten Gesellschaft. Zudem müssten sich die Medien auch endlich wieder ernsthaft mit Politik auseinandersetzen.
Deshalb bitten wir Euch, bleibt stark. Lasst Euch nicht beirren und stimmt gegen die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der Union. Das dürftige inhaltliche Ergebnis der Sondierungen, das fehlende Vertrauen in das Verhandlungsgeschick der Parteispitze sowie deren schwere kommunikativen Fehler lassen leider keine andere Möglichkeit, als mit einer klaren, zu der Sozialdemokratie bekennenden Haltung zu antworten. Lieber ein Schrecken mit Ende als ein Schrecken ohne Ende!

Die Verantwortung für das Entstehen dieser, für die Sozialdemokratie katastrophalen, Situation trägt die Parteispitze. Ihr als Delegierte tragt nun die Verantwortung, der SPD eine inhaltliche Neuaufstellung zu ermöglichen. Diese Neuaufstellung wird sowohl das Vertrauen der Wähler:innen als auch der eigenen Mitglieder zurückgewinnen. Riskiert nicht, dass die SPD aus der deutschen Parteienlandschaft verschwindet.

Bitte zeigt den Bürger:innen und der eigenen Basis am Sonntag, dass ihr für sie da seid. Denn unsere Partei ist mehr, als ein soziales Feigenblatt für Angela Merkel und die CSU.

Es ist Zeit für eine mutige und glaubwürdige SPD.

Eure Jusos Schwaben

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